Kategorie: Heteronormativität

  • Warum eine offene Beziehung? Teil 2, Game Changer

    Trennung. Meine eigene Wohnung. Unterschiedliche Städte. Nun konnte ich tun und lassen, was ich wollte und übte, eigenständig zu sein. Und wir merkten, dass unsere Zuneigung und Verbundenheit trotzdem bestehen blieben. Wir sahen uns immer noch regelmässig.

    Rückblickend beschrieb mir mein Partner, dass es für ihn entscheidend war, dass ich trotz unserer Trennung und meiner Verliebtheit immer noch seine Nähe suchte, und er spürte, wie wichtig er mir war.

    Für mich waren vor allem zwei Gespräche entscheidend, bei denen wir uns gegenseitig aufrichtig für den Schmerz entschuldigten, den wir einander im Trennungsprozess ungewollt und doch irgendwie unvermeidlich zugefügt haben. Am verletzendsten war für mich, dass er mir nicht glaubte und mir nicht vertraute in Bezug auf meine Ideen einer offenen Beziehung. Für ihn war das Schlimmste, dass ich ihm das Gefühl gab, nicht zu genügen. Ohne seine Anerkennung meines Schmerzes und seine Entschuldigung hätte ich ihm nicht wieder vertrauen können, dass sich dasselbe Drama in Zukunft nicht wiederholt. Umgekehrt erkannte ich in der Zwischenzeit die Zumutung, welche ich ihm auferlegte, anders sein zu sollen als er war. Das war der erste Game Changer für uns.

    Der zweite und finale Game Changer war die Kolumne „Die Sache mit der Verlustangst in Beziehungen“ von Jessica Sigerist im Magazin tsüri. Ich habe den Text geschickt bekommen und an ihn weitergeleitet. Und da war es auf einmal klar. Genau so!

    Wer nicht den ganzen Text lesen mag, hier ein Ausschnitt daraus.

    „(…) In meinem Beziehungsmodell, in dem die Grenzen zwischen Freundschaft und Liebesbeziehung verschwinden und verschiedene Beziehungen gleichzeitig existieren dürfen, dünkt mich (…) alles viel entspannter. Es gibt weniger «Entweder oder» und viel mehr «Sowohl als auch». Es gibt mega fest verknallt sein und trotzdem auch jede zweite Person an der queeren Party abknutschen wollen. Es gibt jahrelang gemeinsam durchs Leben gehen und trotzdem auch das Wochenende mit der neuen Flamme verbringen. Es gibt mir die Möglichkeit, Beziehungen so zu leben, wie es für mich und die daran Beteiligten gerade stimmt, ohne Beziehungen nach einer Checkliste in eine Kategorie einteilen zu müssen. Wir ficken zwar leidenschaftlich gerne, wollen aber unter keinen Umständen zusammen wohnen? Wunderbar. Wir sind beste Freund:innen und küssen uns gerne, haben aber keinen Sex? Geht klar! Wir sehen uns nur einmal im Jahr, weil wir weit auseinander wohnen, halten dazwischen nicht viel Kontakt, sind aber jedes Mal neu verliebt, wenn wir uns treffen? Relationship Goals, würde ich sagen! Ausserdem geben mir alternative Beziehungsformen die Möglichkeit, Beziehungen zu transformieren. Wenn man die Definition von Beziehung nicht so eng sieht, sieht man auch die Definition von Trennung nicht so eng. Dass bestimmte Aspekte einer Beziehung wegfallen oder sich verändern, heisst nicht, dass die ganze Beziehung beendet werden muss (…).“ Jessica Sigerist

  • Warum eine offene Beziehung? Teil 1, Trennung

    Wenn ich erzähle, dass ich in einer offenen Partnerschaft lebe, sagt das Gegenüber oft als Erstes „Das könnte ich nicht“.

    Wieso also ist es bei uns dazu gekommen? Weshalb „können“ wir das? 

    Der offenen Partnerschaft ging eine Trennung voraus. Das ist für unsere Geschichte sehr wichtig. Ich trennte mich, und zwar aus zwei Gründen.

    Der eine Grund betraf, obviously, die Monogamie und Romantik. Wie in anderen Beiträgen schon beschrieben, verliebte ich mich – und zwar gewaltig. In den 2 Jahren vor der Trennung versuchten mein Partner und ich, gemeinsam einen Weg zu finden, standen dabei aber an völlig unterschiedlichen Punkten. Die Verliebtheitserfahrung war dabei sehr prägend für mich, weil dieses Gefühl in unserer damaligen Partnerschaft absolut keinen Platz hatte. Mir ging es nicht nur darum, mit anderen Menschen schlafen zu können, sondern auch darum, frei zu sein in Bezug auf meine Gefühle, meine Sexualität, und wie ich diese gestalten möchte.

    Der andere Grund, der genau so entscheidend war, betraf meine damalige unhinterfragte, selbstverständliche Erwartung an eine Partnerschaft, dass es gemeinsame Projekte braucht. Mein Bedürfnis war es, gemeinsam coole Projekte zu reissen. Ich hatte viele Ideen über viele Jahre hinweg, und stiess mit diesen nie auf Begeisterung bei ihm. Bis zu dem Punkt, als mir dämmerte, dass er dieses Bedürfnis schlicht nicht hat, und ich die Perspektive für unser Leben komplett verlor. Denn für mich gab es (abgesehen von der Arbeit und gewissen Hobbys) nur das gemeinsame Leben. Ich war hochgradig symbiotisch und kaum eigenständig als Persönlichkeit. Doch ohne gemeinsame Perspektive konnte ich mir ein gemeinsames Leben nicht mehr vorstellen.

    Es war ein unendlich qualvoller Prozess. Ich trennte mich erst, als ich am absoluten Ende meiner Kräfte war. Eine Selbstrettung.

  • What if…

    «Just imagine if choosing your life partner meant you got to have another first kiss, another affair, maybe fall in love totally again? What if you married someone to walk beside their ever-evolving journey, not to rope them into a role to make you the end-all forever?»

    Kiran Trace, in monogamish.

  • Entscheidungsschwach

    Wenn man sich in einer klassischen Paarbeziehung fremdverliebt, gilt dies als Zeichen dafür, dass man den Partner nicht mehr liebt und ihn verlassen möchte.

    Psychologinnen fragten mich, ob ich denn unzufrieden sei? Ob mein Partner mich irgendwie nicht unterstütze? Einengend sei? Ob ich mich immer noch freue, ihn zu sehen? Ob ich immer noch Sex mit ihm haben möchte?

    Ich schwankte sehr lange zwischen Zweifeln, ob ich tief in meinem Innersten nicht einfach doch zum neuen Mann wollte, wie es mir meine hochgradige Verliebtheit ja suggerierte, oder ob mir der heteronormative Rahmen unserer Beziehung nicht mehr entsprach.

    Lange Zeit hielt ich mich deshalb schlicht für entscheidungsschwach. Für andere wäre dies wohl eine klare Sache: Verliebt! Na dann adieu!

    Gleichzeitig spürte ich jedoch deutlich, dass es nicht darum ging, meinen Partner „auszutauschen“. Trotz meiner Verliebtheit schreckte mich der Gedanke ab, mit einer neuen Person erneut in das gleiche Fahrwasser sozialer Erwartungen an eine romantische Partnerschaft zu springen. Das Gleiche wieder von vorne? Ich sah ja jetzt, wo das hinführt.

  • Wegkommen vom «Entweder – Oder»

    Geht es um klassische romantisch-sexuelle Beziehungen, kennen die meisten Menschen nur das Entweder-Oder. Entweder man ist „zusammen“, oder nicht.

    In dieser Logik geht «Zusammensein» mit Folgendem einher: man ist sich gegenseitig die zentralste und wichtigste Person im Leben, alle anderen Beziehungen sind der Paarbeziehung untergeordnet. Man plant mit dieser einen Person seine nähere und fernere (private) Zukunft, ist ihr körperlich am nächsten und hat mit ihr Sex. Ausserdem lernt man Freund*innen und Familie voneinander kennen und unternimmt generell viel gemeinsam. Zudem scheint es wichtig zu sein, die Nächte gemeinsam zu verbringen und in den meisten Fällen früher oder später zusammen zu ziehen. Das (unbewusste) Ziel: zunehmende Verschmelzung with the one.

    Oder, man ist getrennt: von diesem Moment an muss man sich sukzessive oder auch sehr plötzlich voneinander „entflechten“. Die andere Person darf nun keine allzu hohe Wichtigkeit mehr einnehmen im eigenen Leben. Man spricht nur noch das Nötigste, plant sein Leben ohne sie, hat keinen oder kaum noch Körperkontakt und unternimmt nichts mehr zusammen. Man kann nicht (mehr) zusammen wohnen und auch nicht mehr beieinander übernachten, und die Beziehungen zu ihren Freund*innen und ihrer Familie lösen sich abrupt auf oder sind in Frage gestellt.

    Beziehung als Hochrisiko-Spiel. Alles oder nichts. Zwischentöne? Graustufen? Fehlanzeige. Das wäre emotional nicht möglich, es wäre viel zu kompliziert und schwierig.

    Okay.

    Nachdem ich mich nach zwei qualvollen Krisenjahren mit Depressionen, Panikattacken und existenziellen Ängsten von meinem Partner getrennt hatte, mit dem ich 17 Jahre «zusammen» gewesen war, wurde mir klar, was für ein Bullshit dieses Entweder-Oder ist. Ihn aus meinem Leben zu verbannen wäre mir so vorgekommen, als würde man mir ein Bein oder einen Arm amputieren wollen. Warum sollte er mir nun nicht mehr wichtig sein? Wieso sollte ich nun nichts mehr mit ihm unternehmen können? Wieso sollte ich ihn nun nicht mehr berühren wollen? Wieso sollte ich nicht mehr an seinem Alltag Anteil nehmen? Ihm nahe sein?

    Wieso tun sich andere Menschen gegenseitig so etwas an? (Sofern die Beziehung nicht gewaltvoll oder auf sonstige Weise „toxisch“ war).

  • Sich verlieben als Katastrophe

    Warum wird es eigentlich als Katastrophe angesehen, sich in einer klassischen Partnerschaft zu verlieben?

    Das hiesse ja, dass ich mich ausser in meinen Partner bis an mein Lebensende nie nie nie wieder in jemanden verlieben dürfte, weil Katastrophe.

    Ich hatte meinen Partner mit 18 kennengelernt.

    ?!

  • Worte finden für das Unsagbare

    Wie sagt man seinem Partner, dass man sich von einem anderen Mann angezogen fühlt? Horror.

    Ich wusste, dass ich es meinem Partner sagen musste, als ich es vor mir selbst nicht länger kleinreden konnte.

    Schon früher war es ein- oder zweimal vorgekommen, dass mir andere Männer den Kopf verdreht hatten. Aber nicht im Traum wäre es mir in diesen Fällen eingefallen, meinem Partner davon zu erzählen. Dieses Mal war es jedoch anders, viel intensiver. Rückblickend war ich eindeutig verliebt, aber das hätte ich mir nie eingestanden. Sich zu verlieben wäre für mein damaliges Ich das größte No-Go ever gewesen. So etwas passiert nur Leuten, die danach suchen, die sich ihrer Beziehung nicht sicher sind. Und ich suchte ja nicht danach, flirtete nicht einmal mit anderen Männern und liebte meinen Partner.

    Und doch spürte ich, dass es wichtig war – für mich, für uns – es auszusprechen.

    Doch wie bricht man ein Tabu?

    Rückblickend erkenne ich vor allem die riesige Kluft zwischen meinem inneren Gefühl und dem, was ich tatsächlich aussprach. Es gäbe da einen Mann, mit dem ich so ein bisschen einen flirty Vibe hätte … Eventuell. Es sei nichts weiter, nur das.

    In diesem ersten Versuch, der mich den ganzen Mut dieser Welt kostete, vermochte ich meinem Partner lediglich einen kleinen Einblick in das zu geben, was in mir vorging. Ich habe es kleingeredet und runterspielen wollen, auch vor mir selbst. Mehr ging einfach nicht. Unmöglich.

    Irgendwo im Hinterkopf hegte ich die leise Hoffnung, dass wir vielleicht irgendwann einmal die Möglichkeit einer offenen Partnerschaft erörtern könnten. Aber okay, das war noch kilometerweit entfernt.